MODUL 1 – ERWARTUNGEN & SEXUELLE LUST

Im heutigen Modul sprecht ihr über eure Glaubenssätze und Haltungen in Bezug auf Sexualität und sexueller Lust. Zudem erfahrt ihr, was sexuelle Lust bedeutet und wodurch sie beeinflusst wird.


Eure Vorbereitung

Sucht euch einen angenehmen Ort, wo ihr euch offen über Sexualität austauschen könnt. Ob bei einem gemütlichen Essen oder einem Spaziergang in der Natur – ihr braucht nur Internetzugang zu dieser Website.


Unsere Erwartungen an Sexualität und sexuelle Lust sind oft von gesellschaftlichen Normen, persönlichen Glaubenssätzen und unserem individuellen Erleben geprägt. Wie wir denken, uns verhalten und fühlen – all diese Aspekte sind untrennbar miteinander verbunden. Deshalb beeinflussen unsere Gedanken und Überzeugungen massgeblich, wie wir uns fühlen und wie zufrieden wir letztlich in unserer Beziehung sind.

Erwartungen an sich sind nichts Negatives. Sie wirken sich jedoch negativ auf unser Leben aus, wenn sie unrealistisch sind und dadurch Gefühle von Angst, Selbstzweifeln und Unzulänglichkeit hervorrufen. Diese negativen Gefühle können die Zufriedenheit in der Beziehung beeinträchtigen, wenn wir feststellen, den Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Paare, die realistische Erwartungen an ihre Sexualität haben, tendenziell zufriedener sind und eine nachhaltigere sexuelle Lust erleben.

Ein zentraler Bestandteil dieses Moduls ist es, gemeinsam als Paar eure eigenen Glaubenssätze zu reflektieren und zu hinterfragen. Viele Paare haben Vorstellungen davon, was in einer sexuellen Beziehung „normal“ ist. Diese Vorstellungen sind oft von Mythen geprägt, die die Wahrnehmung von Sexualität verzerren und unrealistische Erwartungen schaffen.


Jetzt seid ihr dran! In der nachfolgenden Übung werden euch Sätze rund um die Paarsexualität und sexuelle Lust gezeigt.

  • Kommt euch etwas bekannt vor?
  • Welche Auswirkungen könnten diese Mythen auf die Beziehung und die sexuelle Lust haben?
  • Stimmen die Aussagen oder können sie auch anders formuliert werden?

Nach der gemeinsamen Diskussion könnt ihr das Feld aufklappen, sodass ihr die Antworten aus der Wissenschaft sowie von Fachexpertinnen und Experten lesen könnt.

Anders formuliert: wenn man sich liebt, dann hat man keine Probleme beim Sex. Umgekehrt würde dies bedeuten, dass bei sexuellen Problemen etwas mit der Liebe nicht stimmt. Sexualität wird jedoch nicht als gegeben betrachtet, sondern als eine erlernbare Fähigkeit, die entwickelt und gepflegt werden muss. In einer langfristigen Beziehung können sich sexuelle Vorlieben und Bedürfnisse ändern, was bedeutet, dass Paare gemeinsam daran arbeiten müssen, ihre Sexualität immer wieder neu zu entdecken und weiterzuentwickeln. Ähnlich wie beim Erlernen eines Musikinstruments oder einer Sportart, erfordert auch die Sexualität Übung und Zeit.
Diese Aussage reduziert die sexuelle Lust auf die Biologie und vernachlässigt, dass die sexuelle Lust auch stark von psychologischen, emotionalen und sozialen Faktoren abhängig ist. Die sexuelle Lust wird nicht nur durch Hormone beeinflusst, sondern auch von persönlichen Lebensumständen wie zum Beispiel stressiger Alltag, Krankheiten oder Konflikte in der Paarbeziehung. Daher ist es nicht ungewöhnlich, dass Paare in verschiedenen Phasen ihrer Beziehung unterschiedliche Lustempfindungen erleben.
Der Rückgang der sexuellen Lust wird oft als Zeichen für das Ende der Liebe gedeutet, was jedoch eine zu vereinfachte Sichtweise ist. Die sexuelle Lust in Langzeitbeziehungen wird in der Wissenschaft als ein sich ständig veränderndes Phänomen betrachtet. Dabei kann das Bild eines Ozeans helfen. Wie die Gezeiten, Ebbe und Flut, hält es sich auch mit der sexuellen Lust in einer Paarbeziehung. Ein vorübergehender Rückgang muss daher nicht direkt mit dem Ende der Liebe verbunden werden. Viel wichtiger ist der Rückgang als natürlichen Teil einer Beziehung zu verstehen, der nicht zwingend mit einem Defizit der Partnerschaft zu tun hat. Vielleicht bietet es auch eine Chance, die Sexualität zu verändern?
Die Häufigkeit sexueller Aktivitäten wird oft als Indikator für die Qualität einer Beziehung herangezogen. Studien zeigen, dass sexuelle Aktivitäten in Beziehungen stark variieren kann, wobei sich dies nicht direkt auf die sexuelle Zufriedenheit sowie Beziehungszufriedenheit auswirkt. Sexualtherapeut:innen erhalten öfters die Frage, wie viel Sex pro Monat "normal" sei. Interessanter ist doch das Bedürfnis hinter dieser Frage, denn sobald man sich an diesen sozialen Normen orientiert, wird das eigene Sexualleben fremdbestimmt. Wäre es allenfalls eine Option, den Fokus anstatt auf der Quantität auf die Qualität zu legen und unsere eigenen Vorstellungen von Sexualität zu entwickeln?
Der Wunsch nach spontanem Sex ist weit verbreitet und wird oft als Massstab für „guten“ Sex betrachtet. In der Realität von Paaren, insbesondere in Langzeitbeziehungen, sieht es jedoch anders aus. Vor allem wenn noch andere Lebensverpflichtungen wie Kinder, Karriere oder andere Stressfaktoren eine Rolle spielen und die Zeit für Sexualität immer weniger wird. Spontane Momente werden oft als leidenschaftlicher wahrgenommen, doch geplanter Sex oder zumindest Raum für intime Momente und Körperkontakt, ist ebenso wichtig. Die Idee, dass spontaner Sex der einzige „echte“ Sex ist, kann zu Enttäuschung und einem Gefühl der Unzulänglichkeit führen, wenn er nicht regelmässig erlebt wird. Das Zulassen von geplanten sexuellen Begegnungen zeigt wiederum, dass der Beziehung und der Sexualität Priorität eingeräumt wird.

Welche Glaubenssätze oder gesellschaftlichen Erwartungen habt ihr in Bezug auf die sexuelle Lust und Sexualität, welche hier nicht erwähnt wurden?
Tauscht euch über eure eigenen Haltungen und deren Auswirkungen auf eure Sexualität aus. Viellicht mögt ihr euch auch daran erinnern, was ihr als Kind oder Jugendliche über Sexualität gelernt habt.


Bevor wir weiter in das Thema eintauchen, ist es noch wichtig zu verstehen, was sexuelle Lust überhaupt ist. Im Folgenden erhaltet ihr einen kurzen Überblick:

Für den Alltag

Für die kommende Woche möchte ich euch folgende Fragen mit auf dem Weg geben, die ihr für euch selbst beantworten könnt. Sie dienen als Vorbereitung für das Modul 2, indem ihr euch gemeinsam darüber austauscht.

Wann spüre ich im Alltag sexuelle Lust? Was löst sexuelle Lust bei mir aus?